Kunst und Glaube (Predigt am 22.5.2016 zu Röm 11,33-36)

Predigt zu Röm 11,33-36
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde!
Schauen Sie sich mal um. Blöde Anweisung, haben Sie bestimmt schon getan und die Bilder, die von hier unten zu sehen sind betrachtet. Kunst in der Kirche, darum geht es heute und was die Betrachtung von Kunst mit dem Glauben zu tun hat.
Kunst gibt Einblick in die Wahrnehmung eines anderen Menschen, transportiert Stimmungen, Atmosphäre, Gefühle, Einsichten, macht nachdenklich, lässt Dinge in einem neuen Licht erscheinen, bringt Gedanken, Farben und Dinge zusammen, die vorher nicht zusammen waren und erzählt dadurch Geschichten. Unsere Kirche wirkt durch die Bilder anders. Die Kunst setzt den Raum in ein neues Licht.

Kunst ist manchmal plakativ und leicht zu verstehen, eindeutig, aber viel öfter – auch viel öfter als man denkt – mehrdeutig und schillernd, hintergründig und offen für Interpretation. Es gibt in der Rezeptionsästhetik den Begriff des „offenen Kunstwerkes“. Der Künstler erstellt das Kunstwerk und bestimmt irgendwann, dass es fertig ist. Für ihn oder sie ist die Aussage, der Eindruck, das Gefühl, das er schaffen und darstellen wollte genauso gut getroffen. Und jetzt passiert das offene an dem Kunstwerk. Im Auge und im Kopf und im Herzen des Betrachters löst das Kunstwerk eine Vielzahl an Reaktionen, Gedanken und Gefühlen aus und alle haben sie etwas mit der jeweiligen Betrachterin zu tun, die sich das Bild anschaut und das bei jedem anders. Jeder bringt seine Vorgeschichte mit, ihr Wissen über Kunst und Symbole, Farbverständnis und gesundem (hoffentlich!) Menschenverstand. Und wenn sich Menschen über die Kunst unterhalten, dann wird es immer ein angeregtes Gespräch geben. Dem einen wird ein Kunstwerk völlig neue Räume und Denkweisen eröffnen, der anderen bleibt es verschlossen. Die Frage: „Ist das Kunst oder kann das weg“ stellt sich immer wieder und für jeden, der sich Kunst ansieht neu. Es gibt kein richtig oder falsch, auch wenn die Künstlerin sich mit einer bestimmten Interpretation vielleicht falsch verstanden fühlt, weil sie eine ganz andere Intention hatte. Das ist das Wagnis, was Kunst, was aber auch die öffentliche Rede, zum Beispiel in einer Predigt eingeht. Wir stellen etwas zur Verfügung und dann kann der Künstler oder die Rednerin nicht mehr kontrollieren, was damit passiert im Auge und im Ohr des Betrachters.
Wenn Sie also jetzt gleich nach diesem Gottesdienst – oben auf beiden Emporen sind auch Bilder ausgestellt – sich die Bilder ansehen, dann lassen sie sich von ihnen berühren, von Farben und Stimmungen, Aussagen und Handwerkskunst und entdecken Sie diesen Reichtum, das Leben zu sehen und zu beschreiben. Vielleicht öffnen sich Ihnen auch dabei völlig neue Sichtweisen oder sie erkennen etwas, was vorher nicht sichtbar war, wie bei dem Bild, dass ich Ihnen verteilt habe.

(Das Bild bitte anklicken zum Vergrößern!)

Das ist ein Bild aus dem Magischen Auge, was eine Zeitlang mal ziemlich populär war. Sie müssen das Bild anstarren bis es vor Ihren Augen verschwimmt und abwarten und sich die Augen eingestellt haben. Und dann  erscheint eine dreidimensionale Figur. Bei manchen klappt das nicht, manche brauchen dafür viel Zeit und manchmal geht’s ganz schnell.
So ist das mit der Betrachtung von Kunst und den Intentionen und den Gefühlen, Stimmungen und Aussagen die hinter all dem stehen oder stehen könnten. Aber so ist das auch mit Gott. Den einen sticht er förmlich sofort ins Auge und er leuchtet ihnen unmittelbar ein. Wie bei dem Bild plötzlich der 3D Inhalt erscheint, erscheint Gott ganz klar. (Wobei es manchmal auch so wie beim Bild ist das er bei einem kleinen Blinzeln wieder verschwinden kann, so kann einem auch die Gewissheit Gottes wieder verloren gehen.)
Andere brauchen eine ganz Weile des Nachdenkens und des Drauf Schauens, des Redens über Gott oder mit Gott und irgendwann, nach langer Auseinandersetzung, können diese Menschen sagen: Jetzt ist mir Gott klar und erleben, was wieder nur schwer auszudrücken ist: Einen Halt, den Einklang mit dem Leben, Trost, obwohl alles drunter und drüber geht. Auf die Kunst, die Bilder bezogen: Manches Bild wie auch manches Wort erschließt sich erst auf den vierten, fünften oder sechsten Blick.
Und dann wieder gibt es Menschen, die bemühen sich und finden trotzdem keinen Zugang, weder zu moderner Kunst (oder anderen Kunstformen) und analog dazu auch nicht den Zugang zum Glauben, zum Vertrauen, dass Gott in dieser Welt und in ihrem Leben ein Halt sein kann. Woran mag das liegen?
Sind wir als Kirche, als Prediger und Predigerinnen zu schlecht, um es gut zu erklären? Sind manche Menschen einfach zu gleichgültig, um sich ernsthaft mit diesen Fragen zu beschäftigen, oder zu beschäftigt, oder zu intellektuell oder zu einfach gestrickt? Gibt es bei manchen Menschen einfach keine „übersinnliche“ Ader, die ein Gespür für das Geheimnis hinter den Dingen hat?
Nein als Antwort auf all diese Fragen. Letztendlich kann man es gar nicht erklären und Kunst wie Glaube – beides beschäftigt sich mit der unsichtbaren Welt des Hintergründigen und nicht leicht greifbaren – erschließen sich oder eben nicht.
Paulus hat sich im Römerbrief lange mit dieser Frage beschäftigt und sich gefragt, welche Bedingungen nötig sind, um – er nannte das - „gerettet zu sein“ (also Gott zu erkennen oder moderner ausgedrückt: hinter allem einen Sinn zu sehen) und macht das an der Frage fest, inwiefern es möglicherweise einen Unterschied gibt, zwischen Christen und Juden. Für uns heute eine relativ unwichtige Frage, weil wir davon ausgehen, dass auch die Juden die Verheißung Gottes haben. Letztendlich aber, sagt Paulus, ist es gar nicht an uns, das zu entscheiden, sondern die Entscheidung darüber liegt allein bei Gott, dessen Urteile und Wege so oder so unerforschlich sind.
Was Paulus als Quintessenz dieses Nachdenkens schreibt ist heute Predigttext: Röm 11,33-36
O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste«? (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
Paulus weiß nur, dass Gott hinter allem steht, aber wie das funktioniert, weiß er letztlich nicht. Er weiß, dass er immer nur Augenblicke der Gotteserkenntnis haben kann, Aspekte und Teile von Gott, aber nie Alles, dass Gott immer mehr ist als was wir sagen und wahrnehmen können. Und das, liebe Gemeinde, deckt sich auch mit der Betrachtung von Kunstwerken, wenn ein und dasselbe Kunstwerk zig verschiedene Gefühle, Stimmungen, Einsichten hervorruft.
Und das gilt natürlich auch für jede Predigt. Darum ist mir auch am Ende der Predigt dieser Satz wichtig, dass der Friede Gottes höher ist als alle Vernunft. Ich kann hier vorne sagen und reden was ich will, ich kann mich gut vorbereiten und im Vorfeld viel nachdenken, was ich ja auch tue, aber ich kann letztlich damit nicht den Anspruch erheben, Ihnen liebe Gemeinde letzte Wahrheiten über Gott zu sagen, ja sagen zu können. Ich kann ihnen Einblick in mein kleines Denken und Glauben geben, aber dass der Friede Gottes sie ergreift, dass Sie berührt werden, dass Sie am Ende und nach der Vernunft und der Verstehbarkeit mit Paulus sagen können: Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! weil etwas in ihnen drin ihnen zeigt, dass das für Sie wirklich so ist, das ist allein Gottes unerforschlichen Wegen zu verdanken.
Heißt das jetzt, wir können nichts dazu tun? Doch: wir können uns den Fragen immer wieder aussetzen, unsere Sehnsucht nach Ganzsein und Sinn spüren und so nach Gott suchen.
Ein Weg dahin kann sein, dass man anfängt wieder zu staunen wie Paulus und Dinge wahrnimmt als wäre es das erste Mal. Das ist Ehrfurchterfüllend. Beispiel gefällig?
Sie atmen schon ihr Leben lang ein und aus und werden es ihr Leben lang tun. Lebensspendende Luft geht ein und wieder aus, immer, die ganze Zeit. Das ist, wenn man es recht betrachtet ein Wunder, auch wenn es so selbstverständlich ist. Wenn Sie anfangen es bewusst wahrzunehmen, vielleicht immer mal wieder nur für kurze Zeit, kann man schon ins Staunen kommen und dem Leben und damit letztendlich Gott danken, dass es so ist. Natürlich, wer es einfach als selbstverständlich betrachtet, dass das so ist, der wird sich jetzt vielleicht über diese Banalität, die ich Ihnen hier erzähle ärgern.
Aber ich bleibe dabei: Staunen über Außergewöhnliches und Alltägliches ist ein Schlüssel dazu Gott wahrzunehmen in seiner lebensschaffenden Kraft bzw. zu merken es gibt da eine Kraft hinter allem Leben, die uns weit übersteigt. Mir persönlich kann das auch im Wald oder auf einer Wiese passieren, dass ich mit meiner Kamera da sitze und eine Blume oder einen Schmetterling beobachte und irgendwann einfach nur erfüllt bin von der Schönheit und der Raffiniertheit des Lebens und wie alles zusammenhängt. Oder fragen Sie doch mal die Künstler, wie das ist, wenn plötzlich die Zeit verschwimmt und nur noch das Malen wichtig ist…
Für mich leuchtet in solchen Momenten auf, was Paulus da so überschwänglich schreibt: Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!
Nochmal zurück zu den Bildern auf ihren Liederzetteln und die Kunstwerke hier in der Kirche. So ist das mit Gott: Er erschließt sich, wenn man sozusagen durch Bilder hindurchschaut, über das Bild hinausgeführt wird oder aber beim Staunen, wenn mich etwas ergreift und bewegt und berührt und das Leben plötzlich Tiefe und eine Dimension mehr bekommt. Überall da ist Gott am Werk und erkennbar. Und dann führt das einfach zum Lob des Lebens, zum Lob Gottes, zur Freude am Sein.
Geht das auch in schweren Zeiten, wenn uns die Liebe Gottes weit weg erscheint und die Unbegreiflichkeit Gottes für uns gerade eher verbunden ist mit einem Schicksalsschlag oder mit dem Leid, der Gewalt und den vielen Ungerechtigkeiten in dieser Welt? Kann man dann Gott, das Leben in allem Leben auch noch loben? Oder wirft all dies meine Theorie über den Haufen, dass in und durch und über allem Gott steht? Wenn es Gott gibt, kann es dann überhaupt Leid geben und umgekehrt wenn es so viel Leid gibt, kann es dann noch einen liebenden Gott geben durch den und von dem und zu dem alle Dinge sind?
Ja, behaupte ich. Neben all den Beispielen wie schrecklich das Leben sein kann, grausam und ungerecht, gibt es auch all die Beispiele für das andere, Schöne, auf die Kraft allen Lebens in allem Sterben verweisende. Leben ist immer beides und das ist so schwer zu ertragen. Dass wir beide Pole aushalten müssen und wir uns mittendrin befinden.
Die Kunst, aber auch der Glaube, die Religion, Spiritualität versucht hier Wege zu finden, die uns verbinden mit der Kraft die letztlich Lebendigkeit fördert, stärkt; sucht den Blick und die Perspektive, die mich trotz allen Leides leben lässt.
Wer mag kann dazu nächste Woche eine simple Übung machen: Er oder Sie nehme sich morgens fünf Bohnen in die linke Hosentasche und immer wenn ihm etwas Gutes wiederfährt, packt er eine Bohne von links nach rechts. Hier aber bitte auch das Alltägliche mit einbeziehen. Und wenn dann alle Bohnen in der rechten Hosentasche wieder vereint sind, kann man sich freuen, dass es in allen Widrigkeiten mindestens fünf gute Erlebnisse gab und, dass das Lebendige siegt und bestätigt, was Paulus sagt:
Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

(c) Pfr. Henning Porrmann

Predigten aus der Schlosskirche

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