Predigt am 4.1.2015 (Lk 2,41-52)

Predigt zu Lk 2,41-52 (Ein fiktiver Brief von Josef)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde, der Predigttext steht heute bei Lk 2,41-52
Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Als er zwölf Jahre alt war, gingen sie auch hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Liebe Gemeinde!
... und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Das kennen wir doch aus der Weihnachtsgeschichte. Obwohl Maria es nicht mit dem Verstand fassen kann, was alles mit Jesus geschieht, was er tut, was er sagt und was über ihn gesagt wird, mit dem Herzen, mit ihrem Gefühl ist sie ganz bei ihm, bewahrt sie alles. Allerdings frage ich mich, wie schon öfter, was eigentlich mit Josef ist, denn der kommt wieder mal nur am Rande vor. (Vielleicht geht es ihm da ja wie vielen Vätern in heutigen Familien auch?) Ich kann mir vorstellen, dass auch er sich so seine Gedanken gemacht hat, über Jesus, über das Leben des Jungen, der da unter seiner Obhut aufgewachsen ist. Vielleicht helfen uns ja die Gedanken von Josef weiter, in unserem Verständnis von Jesus. Deshalb und weil ich Josef auch mal gerne zu Wort kommen lassen möchte, stellen wir uns also vor, Josef berichtet in einem Brief von seinen Gedanken: Er könnte also schreiben:
Liebe Schwestern und Brüder im Jahre 2015!


Ich freue mich über Ihr Interesse an meiner Sichtweise. Am besten fange ich vorne an zu erzählen.
Verlobt waren wir, Maria und ich, als Maria mir eines Tages eröffnete, sie sei schwanger. Eigentlich eine schöne Nachricht, aber für mich war es wie ein Schlag ins Gesicht, denn das Kind konnte auf keinen Fall von mir sein. Ich dachte schon daran sie heimlich zu verlassen, damit sie nicht bloßgestellt wäre vor den Leuten. Aber als dieser Entschluss in mir reifte, hatte ich im Traum die Begegnung mit einem Engel. Irgendwie schaffte er es, mich zu überzeugen, sodass ich bei Maria blieb. Der Engel redete davon, dass da Gott seine Hände, äh seinen Geist mit ihm Spiel habe und der Sohn (wir sollten ihn Jesus nennen) der angekündigte Messias sei. Na ja, ich hab es eben drauf ankommen lassen und einfach geglaubt, auch wenn ich es nicht verstehen konnte, vielleicht weil ich es einfach glauben wollte?!
Sie wissen von der beschwerlichen Reise nach Bethlehem mit meiner hochschwangeren Frau, dem freundlichen Menschen, der uns seinen Stall zur Verfügung stellte und den Hirten, den Engeln und den fremden Königen, die unseren Sohn auch für sehr besonders hielten. Ich hatte damals wirklich keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hätte... konnte aber von Maria lernen, die das alles auch nicht verstand, aber doch in ihrem Herzen aufbewahrte und bewegte. Mit dem Herzen denken…
Kurz, Jesus wuchs auf, wie mein eigener Sohn. Er war wie alle Kinder. Und im Laufe der Zeit gerieten die wundersamen Ankündigungen immer mehr in den Hintergrund. Bis wieder mal die Reise nach Jerusalem zum Passafest anstand, wie es sich für einen frommen Juden gehörte. Maria und ich ließen kein Passafest aus, allerdings nahmen wir in jenem Jahr Jesus zum ersten Mal mit. Er war zwölf Jahre alt und mit 13 wird ein jüdischer Junge voll religionsmündig. Da sollte er sich schon mal langsam an seine religiösen Pflichten gewöhnen. Es war toll, das Singen und Tanzen, die Freude und die feierlichen Gottesdienste. Und was mich besonders freute und mit Stolz erfüllte, war mein Sohn. Der konnte gar nicht genug davon hören und war mit dem Herzen ganz bei der Sache.
Nachdem wir uns dann nach dem Fest auf die Rückreise machten, schlug mein Vaterstolz schnell in Angst um meinen Sohn um. Er war unauffindbar. Es war Sitte, dass wir mit allen Menschen aus Nazareth zusammen reisten und ich dachte, dass er irgendwo bei der Reisegruppe schon auftauchen würde. Aber dem war nicht so. Angst und Zorn mischten sich in mir. Diese Gefühle kennen vielleicht alle, die selber Kinder haben. Wir sind zurück und die Suche dauerte ganze drei Tage.
Jetzt, nachdem er schon längst wieder auferstanden ist, denke ich oft darüber nach, ob das schon eine Art Voraussicht war? Drei Tage war er tot... drei Tage war er verschwunden...?
Schließlich fanden wir ihn, im Tempel. Ich war drauf und dran ihn da rauszuholen... der sollte was zu hören bekommen, seine Eltern so in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber Maria hielt mich zurück. „Ich mach das schon“, sagte sie, wieder mal ganz die Vermittlerin. Da erst erkannte ich, mit wem er sich da unterhielt oder besser, wer ihm da zuhörte: Gelehrte jüdische Lehrer und Professoren. Er redete so ernst von Gott und vom Glauben... Ich ertappte mich bei dem Gedanken: Das soll mein Sohn sein ... ?! Aber schnell wurde mir klar: Es ist ja gar nicht mein Sohn. Und er bohrte weiter in dieser Wunde: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ JA, da war er wieder, dieser Stich in meinem Herzen: Dieses Kind wächst zwar bei mir auf, aber sein Leben gehört einem anderen. Wieder wussten wir nicht richtig, was Jesus damit meinte, aber eines begriffen wir, Maria und ich: Da gab es etwas, das war wichtiger als seine Familie. Eine Beziehung, die enger war, als die mit uns. Er muss in dem sein, was seines Vaters ist. Und das ist garantiert nicht meine Zimmermannswerkstatt. Das scheint der Tempel zu sein, dachte ich damals...
Später verstand ich ein wenig mehr, als ich sah, wie unser Jesus als Erwachsener mit den Menschen umging: Wie er ihnen Mut machte, sich nicht mit dem Sichtbaren zufrieden zu geben. Wie er die Kranken heilte und ihnen einen gesunden Umgang mit ihrem Leben vermittelte. Wie er die Armen und Gebeugten, die Verachteten und Beschimpften mit einer Hoffnung erfüllte, die ihnen eine Perspektive gab. Wie er den Menschen von Gott erzählte, in Bildern und rätselhaften Worten, mit einer Kraft und Vollmacht, die die Menschen in seinen Bann zog. Er half den Menschen wieder Visionen zu entwickeln, ihrer Sehnsucht nach heilem und heilvollem Leben Ausdruck zu verleihen und daran zu glauben, dass Gott an ihrer Seite geht.
Ja, Gott, den Allmächtigen und Barmherzigen nannte er inzwischen liebevoll Vater, oder besser auf Aramäisch, abba, Väterchen.
All das machte mich damals einerseits froh, glücklich und erfüllte mich: Zu sehen, dass mein Sohn, oder vielleicht sollte ich sagen, der Sohn meiner Frau, die Menschen befreit und ermutigt. Und andererseits starben wir beide, Maria und ich fast vor Angst: Wenn er so weitermachte und die Menschen von ihren Abhängigkeiten befreite, denen nachging, die sich von Gott und der Welt abgewandt haben, ja sogar denen, die ausgestoßen waren, wenn er weiterhin darüber reden würde, dass alle menschliche Macht nur vorläufig sei, dass Gott letztlich stärker ist, als alles was Menschen krank macht und knechtet, dann würde er den Zorn der Mächtigen und der Etablierten auf sich ziehen. Die organisierte Religion, gegen die er sich wandte, würde sich gegen ihn wenden.
So ganz unrecht hatten wir im Nachhinein nicht... allerdings er auch nicht, denn die Auferstehung, der Sieg über den Tod gab ihm Recht und zeigte, dass Jesus für all die lebensschaffenden Kräfte stand und immer noch steht...
Wie gesagt, das alles begriff ich erst viel später. Damals auf dem Nachhauseweg von Jerusalem war er mir einfach nur fremd und ich verstand ihn nicht und ich musste mich erneut mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass er nicht mein Sohn war....
Soweit der fiktive Brief von Josef, liebe Gemeinde. Manchmal geht es mir auch so wie Joseph, dann ist Jesus mir fremd und ich verstehe ihn nicht, was er sagt und was er tut z.B. wenn er alle menschlichen Kategorien sprengt: Liebt eure Feinde, löst Gewalt, auch terroristische Gewalt nicht mit Gegengewalt. Oder wenn er so unmissverständlich Partei ergreift für die Armen dieser Welt und mein Verhalten damit so manches Mal in Frage stellt. Oder wenn er sagt: Auf Gott vertrauen ist wichtiger als Kleidung und Geld, und so unsere Lebensweise und unsere Maßstäbe komplett um dreht. Aber seine Worte und Taten fallen mir ins Herz und bestimmen mich trotzdem. Erfüllen mich mit Hoffnung, Freude und neuer Kraft. So wünsche ich ihnen heute, liebe Gemeinde, dass wir es so wie Joseph immer wieder schaffen, die Fremdheit Jesu anzunehmen, zu akzeptieren und sich von der Freude und der Hoffnung, die er ausstrahlt anstecken zu lassen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Henning Porrmann

Predigten aus der Schlosskirche

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